Kaum ein Fahrzeug verkörpert technologische Avantgarde, sportlichen Anspruch und den Geist der 1980er Jahre so sehr wie der Porsche 959. In einer Zeit, in der die Automobilwelt von klassischen Sportwagen geprägt war, setzte Porsche mit dem 959 ein klares Zeichen: Die Zukunft des Sportwagens war digital, allradgetrieben und voller innovativer Technologien.
Der 959 war mehr als ein Supersportwagen – er war ein Forschungsfahrzeug auf Rädern, das Porsches Ruf als Innovationsführer zementierte und dem Unternehmen in einer wirtschaftlich kritischen Phase den Weg in die Zukunft ebnete.
Historischer Kontext und Entwicklung
Die Entwicklung des Porsche 959 begann Anfang der 1980er Jahre unter der Leitung des damaligen Porsche-Chefkonstrukteurs Helmuth Bott. Der Auslöser war die ambitionierte Gruppe-B-Klasse im Rallyesport, die es Herstellern ermöglichte, extrem leistungsstarke und technologisch fortschrittliche Fahrzeuge zu homologieren – sofern eine bestimmte Stückzahl für die Straße gebaut wurde. Porsche erkannte in dieser Regelung eine ideale Gelegenheit, ein Fahrzeug zu entwickeln, das gleichzeitig als Motorsportgerät und Technologieträger fungieren konnte.
1983 wurde der Prototyp erstmals auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in Frankfurt präsentiert – noch als „Gruppe-B-Studie“. Das Echo war überwältigend. Doch bis zur Serienreife sollten noch mehrere Jahre vergehen, da sich die Umsetzung der innovativen Technik als äußerst komplex erwies. Erst 1986 kamen die ersten Kunden in den Genuss des Supersportwagens, der mit einer limitierten Stückzahl von 292 Einheiten produziert wurde.
Technologische Innovationen
Der Porsche 959 galt zur Zeit seiner Erscheinung als das fortschrittlichste Auto der Welt – ein fahrender Technologiedemonstrator. Viele seiner Innovationen wurden in den folgenden Jahrzehnten zu Standards im Automobilbau.
Antrieb und Motor
Herzstück des 959 war ein 2,85 Liter großer Sechszylinder-Boxermotor mit Biturbo-Aufladung. Ursprünglich für den Porsche 956 aus dem Langstreckenrennsport entwickelt, wurde der Motor für den Straßeneinsatz überarbeitet. Mit 450 PS (331 kW) und einem maximalen Drehmoment von 500 Nm beschleunigte der 959 in nur 3,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h – Werte, die selbst heutige Supersportwagen beeindrucken. Die Höchstgeschwindigkeit lag bei beachtlichen 317 km/h.
Allradantrieb (PSK-System)
Eines der revolutionärsten Merkmale des 959 war sein elektronisch geregelter Allradantrieb namens PSK („Porsche-Steuer-Kupplung“). Während zu dieser Zeit die meisten Sportwagen auf Hinterradantrieb setzten, verteilte das PSK-System die Antriebskraft variabel zwischen Vorder- und Hinterachse. Das sorgte für eine exzellente Traktion in jeder Fahrsituation – ob bei Regen, auf der Rennstrecke oder im Gelände. Diese Technologie war ein Vorläufer für das Allradsystem, das später im Porsche 911 Carrera 4 eingeführt wurde.
Fahrwerk und Aerodynamik
Das Fahrwerk des 959 war ebenfalls ein Meisterwerk. Es verfügte über eine geschwindigkeitsabhängige Niveauregulierung, mit der der Wagen in drei Stufen abgesenkt werden konnte. Die Aerodynamik wurde bis ins Detail optimiert: Ein fest integrierter Heckspoiler und eine glattflächige Karosserie sorgten für einen sehr niedrigen Luftwiderstandsbeiwert von 0,31 – für einen Sportwagen mit Allradantrieb und breiten Reifen ein beeindruckender Wert.
Leichtbau und Materialien
Auch beim Thema Materialeinsatz war der 959 seiner Zeit voraus. Porsche verwendete eine Kombination aus Aluminium, Aramidfasern (bekannt aus der Herstellung von Kevlar) und Polyurethan zur Gewichtseinsparung. Die Karosserie wurde in Handarbeit gefertigt und wog trotz der komplexen Technik nur rund 1.450 Kilogramm – ein Spitzenwert angesichts des umfangreichen Ausstattungspakets.
Varianten und Sondermodelle
Porsche 959 S
Porsche entwickelte eine leistungsgesteigerte Variante des Fahrzeugs – den 959 Sport (S). Dieser verzichtete auf einige Komfortfunktionen wie das einstellbare Fahrwerk oder die Klimaanlage, um Gewicht zu sparen. Die Leistung wurde auf 515 PS erhöht, was eine Höchstgeschwindigkeit von 339 km/h ermöglichte. Der 959 S war ausschließlich für erfahrene Fahrer gedacht, die den puren Fahrspaß suchten.
Sonderserie von 1992
Obwohl die Produktion des 959 offiziell 1988 endete, wurden Anfang der 1990er Jahre acht weitere Exemplare gebaut. Diese basierten auf noch vorhandenen Chassis und wurden technisch auf den neuesten Stand gebracht. Sie gingen für je 747.500 DM an ausgewählte Kunden – ein stolzer Preis, der das Prestige des Wagens unterstrich.
Einzelstücke und Umbauten
Ein besonderes Kapitel in der Geschichte des 959 stellt ein zum Cabrio umgebautes Einzelstück dar, das auf der IAA 1989 gezeigt wurde. Nach einem Unfall wurde ein beschädigter 959 in Handarbeit zu einem offenen Zweisitzer umgebaut. Dieses Einzelstück wurde später für über drei Millionen DM verkauft.
Einfluss und Nachwirkungen
Technologischer Wegbereiter
Der Porsche 959 war kein kommerzieller Kassenschlager – die Entwicklungskosten waren enorm, und Porsche verkaufte jedes Fahrzeug unter den Produktionskosten. Doch technologisch war er ein gigantischer Schritt nach vorn. Viele der damals eingeführten Innovationen wurden später in Serienmodellen übernommen. Der 959 war ein Vorreiter für den elektronisch geregelten Allradantrieb, adaptives Fahrwerk, aerodynamische Optimierung und den Einsatz von Hochtechnologie in Serienfahrzeugen.
Motorsportliche Erfolge
Auch im Motorsport setzte der 959 Maßstäbe. Bei der Rallye Paris-Dakar 1986 holte Porsche mit modifizierten 959-Prototypen einen Doppelsieg – eine Leistung, die das Potenzial des Wagens auch abseits der Straße unter Beweis stellte. Diese Erfahrungen flossen in die spätere Entwicklung von Offroad-Fahrzeugen wie dem Cayenne und der Dakar-Version des 911 ein.
Moderne Interpretationen
Auch Jahrzehnte nach seiner Einführung inspiriert der 959 Tuner und Restauratoren. Besonders bekannt ist Bruce Canepa, ein US-amerikanischer Sammler und Techniker, der unter dem Namen „959SC“ vollständig restaurierte und modernisierte 959er anbietet – mit bis zu 763 PS, neuen Fahrwerken, modernen Bremsanlagen und luxuriösem Interieur. Diese Fahrzeuge erzielen Preise jenseits von zwei Millionen Euro.
Marktwert und Sammlerstatus
Bei seiner Markteinführung kostete der 959 rund 420.000 DM – mehr als doppelt so viel wie ein Porsche 911 Turbo. Heute gehört er zu den begehrtesten Klassikern der Marke. Je nach Zustand und Variante werden Preise von über einer Million Euro erzielt. Modelle mit geringer Laufleistung oder Sonderumbauten erzielen bei Auktionen Rekordwerte.
Ein technisches Denkmal, ein Symbol für Ingenieurskunst und Innovationsmut
Der Porsche 959 ist weit mehr als ein Auto – er ist ein technisches Denkmal, ein Symbol für Ingenieurskunst und Innovationsmut. In einer Zeit, in der Porsche wirtschaftlich unter Druck stand, bewies der 959, dass das Unternehmen bereit war, radikal neue Wege zu gehen. Die Auswirkungen dieses Mutes sind bis heute spürbar – im Allradantrieb moderner 911er, in den Technologien des Taycan und in der grundsätzlichen Philosophie, stets an der Spitze des technisch Machbaren zu stehen.
Für Liebhaber, Sammler und Technikbegeisterte bleibt der 959 eines der faszinierendsten Kapitel der Automobilgeschichte – ein Auto, das seiner Zeit nicht nur voraus war, sondern diese aktiv geprägt hat.
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