China gilt seit Jahren als globaler Vorreiter in der Elektromobilität. Mit mehr als der Hälfte aller weltweit verkauften E-Autos und einer beispiellosen staatlichen Förderung hat das Land seine Vorreiterrolle in der Produktion und dem Export von Elektrofahrzeugen gefestigt.
Doch hinter dem Erfolg verbirgt sich eine tiefe Krise: Ein gnadenloser Preiskrieg, Überkapazitäten und eine drohende Marktbereinigung lassen zahlreiche Hersteller um ihre Existenz bangen. Auch Europa, insbesondere Deutschland, ist direkt betroffen – wirtschaftlich, strategisch und politisch. Der Artikel beleuchtet die aktuelle Lage der Elektromobilität in China, analysiert die Auswirkungen auf deutsche und europäische Hersteller und zeigt mögliche Perspektiven für die Zukunft auf.
1. Status quo in China
a) Marktvolumen und Expansion
China hat den globalen Markt für Elektromobilität überrollt: 2024 erreichten sogenannte „New Energy Vehicles“ (NEVs) – darunter vollelektrische Fahrzeuge und Plug-in-Hybride – einen Marktanteil von über 50 % bei den Neuzulassungen. Allein im Jahr 2023 wurden laut der China Association of Automobile Manufacturers (CAAM) über 8,3 Millionen E-Autos verkauft. Damit ist das Land nicht nur Leitmarkt, sondern auch Leitproduzent – über 60 % der weltweiten E-Autos stammen aus chinesischer Produktion.
b) Der Preiskrieg
Trotz des Wachstums befindet sich Chinas E-Auto-Markt in einer strukturellen Krise. Der Auslöser: ein erbitterter Preiskampf. Der US-Hersteller Tesla senkte bereits Anfang 2023 seine Preise für Modelle wie das Model Y massiv, worauf chinesische Hersteller wie BYD, Nio und Xpeng aggressiv nachzogen. Das Ergebnis: Margen bröckeln, und viele Hersteller arbeiten defizitär.
Laut einer Studie der Unternehmensberatung AlixPartners ist die Lage dramatisch. Dort heißt es: „Von derzeit 129 chinesischen E-Auto-Marken könnten bis 2030 mehr als 90 % verschwinden.“ Die Hauptgründe: massive Überkapazitäten und ein unregulierter Marktzugang. So drängen nicht nur etablierte Autobauer, sondern auch Start-ups und Elektronikkonzerne in den Markt – darunter Xiaomi mit dem neuen Modell „SU7“.
c) Ursachen der Krise
Ein Kernproblem ist das Missverhältnis zwischen Produktionsvolumen und realer Nachfrage. Die chinesische Regierung hatte über Jahre hinweg durch massive Subventionen und Steuererleichterungen einen künstlich befeuerten Boom erzeugt. 2023 investierte China allein 200 Milliarden Yuan (ca. 25 Mrd. Euro) in die Förderung von NEVs. Dies führte zu einer Überproduktion, die nun in Preisnachlässen mündet.
Zudem ist die Innovationsdynamik extrem hoch. Hersteller bringen in immer kürzeren Zyklen neue Modelle auf den Markt. „Das ist keine technologische Revolution, sondern eine wirtschaftliche Zerstörungsspirale“, kritisiert Autoexperte Andreas Herrmann von der Universität St. Gallen in einem Interview mit t-online. Viele Start-ups setzen auf aggressive Wachstumsstrategien ohne nachhaltiges Geschäftsmodell.
d) Eingreifen der Regierung
Angesichts der Marktverwerfungen kündigte Premier Li Qiang im Juli 2025 an, den Wildwuchs zu stoppen. Ziel sei es, „irrationale Konkurrenz und ungesunde Preisbildung zu unterbinden“, so Li laut Reuters. Künftig sollen Mindeststandards bei Technologie, Sicherheit und Kapitalisierung gelten. Darüber hinaus will Peking die Kontrolle über Batterielieferketten verschärfen, um die nationale Wertschöpfung zu sichern.
2. Auswirkungen auf Deutschland und die EU
a) Konkurrenzdruck auf europäische Hersteller
Der chinesische E-Auto-Export trifft vor allem deutsche Hersteller hart. VW, BMW und Mercedes-Benz verlieren in China kontinuierlich Marktanteile. BYD hat Tesla bereits als größten Elektroauto-Verkäufer in China überholt – und macht auch in Europa Druck. Mit Modellen wie dem Dolphin oder dem Seal zu Einstiegspreisen unter 30.000 Euro bietet BYD inzwischen Alternativen, gegen die deutsche Hersteller kaum konkurrenzfähig sind.
Volkswagen kämpft mit Absatzrückgängen von bis zu 20 % in China. Auch BMW und Daimler verzeichnen Schwächen, insbesondere im Segment der Mittelklassefahrzeuge. „Die deutschen Hersteller sind technologisch nicht rückständig, aber deutlich teurer“, analysiert Ferdinand Dudenhöffer vom CAR-Institut. Während BYD rund 30 % geringere Herstellungskosten aufweist, liegen die Produktionskosten deutscher Marken deutlich höher – auch aufgrund der in China zentralisierten Batterieproduktion.
b) Handelskonflikt mit der EU
Als Reaktion auf die Markterosion und die aggressive chinesische Exportstrategie hat die EU-Kommission im Juli 2024 Anti-Dumping-Zölle von bis zu 38 % auf chinesische Elektroautos angekündigt. Die Maßnahme soll ab November 2024 in Kraft treten. Ziel: Schutz europäischer Hersteller vor unlauterem Wettbewerb durch staatlich subventionierte Fahrzeuge.
Die deutsche Bundesregierung hatte sich gegen die Zölle ausgesprochen – aus Angst vor chinesischen Gegenmaßnahmen. Tatsächlich reagierte China prompt mit der Prüfung von Zöllen auf europäische Wein- und Autoexporte. Ein Handelskrieg scheint unausweichlich. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck warnte: „Wir müssen europäische Industrie schützen, dürfen aber nicht in eine Eskalationsspirale geraten.“
c) Rohstoffabhängigkeit
Ein weiteres Problem ist die massive Abhängigkeit von chinesischen Rohstoffen. China kontrolliert über 70 % der weltweiten Förderung und Raffinierung seltener Erden – essenziell für Batterien, Motoren und Elektronik in E-Fahrzeugen. Auch bei Lithium-Ionen-Batterien dominiert China mit über 75 % der globalen Produktionskapazität.
Diese Abhängigkeit stellt ein geopolitisches Risiko dar. „Wenn China morgen den Export von Lithium oder Kobalt stoppt, steht die europäische Produktion still“, warnt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die EU plant deshalb, strategische Rohstoffpartnerschaften in Südamerika und Afrika sowie eigene Förderprojekte (z. B. in Schweden) zu forcieren.
3. Entwicklungen in Deutschland und der EU
a) Nachfrageprobleme trotz Produktionsrekorde
In Deutschland ist die Produktion von E-Fahrzeugen im ersten Halbjahr 2025 erneut gestiegen – insbesondere dank des Exports. Doch die Nachfrage im Inland stagniert. Laut Kraftfahrt-Bundesamt gingen die Neuzulassungen vollelektrischer Fahrzeuge im ersten Quartal um 18 % zurück.
Gründe sind unter anderem das Auslaufen staatlicher Förderungen, hohe Preise für Schnellladenetzwerke und eine weiterhin verbreitete Reichweitenangst. „Die Infrastruktur ist nicht mitgewachsen – und die Politik hat Vertrauen verspielt“, erklärt Auto-Analystin Stefanie Wurst.
b) Politische Gegenmaßnahmen
In der EU formieren sich erste Gegenstrategien: Mit dem „Net Zero Industry Act“ soll die Batterieproduktion bis 2030 weitgehend lokalisiert werden. In Deutschland errichtet Volkswagen derzeit ein „Battery Hub“ in Salzgitter, der jährlich Batterien für bis zu 500.000 Fahrzeuge liefern soll.
Zudem arbeiten europäische Hersteller vermehrt zusammen. Stellantis (Peugeot, Opel, Fiat) kooperiert mit der chinesischen Leapmotor, Renault gründet eine Billigmarke mit Geely. Ziel ist es, technologisch günstige Modelle im Preissegment unter 25.000 Euro anbieten zu können – als Antwort auf BYD, MG oder Chery.
4. Ausblick und Handlungsempfehlungen
Der chinesische Markt wird sich in den kommenden Jahren konsolidieren. Experten gehen davon aus, dass von aktuell über 100 Marken langfristig nur 5–20 überleben werden – darunter BYD, Nio und SAIC. Diese werden den Export nach Europa weiter ausbauen und technologische Standards setzen.
Für Europa – insbesondere Deutschland – ergeben sich daraus mehrere Handlungsempfehlungen:
- Förderung bezahlbarer Modelle: Die Zukunft liegt in günstigen, wartungsarmen E-Autos. Subventionen sollten gezielt auf Einsteigermodelle fokussiert werden.
- Rohstoffsouveränität stärken: Aufbau strategischer Rohstoffpartnerschaften und eigener Förderkapazitäten.
- Infrastruktur beschleunigen: Schnellladepunkte massiv ausbauen und Tarife vereinfachen.
- Kooperation statt Isolation: Industrieübergreifende Allianzen (z. B. mit Korea, Japan oder Indien) gegen chinesische Dominanz.
Strukturwandel
China bleibt der Taktgeber der globalen Elektromobilität – auch wenn der Markt derzeit durch einen tiefgreifenden Strukturwandel geht. Der Preiskrieg und die geplante Marktbereinigung könnten letztlich zu stabileren Verhältnissen führen. Für Europa jedoch ist die Zeit knapp: Wer den Anschluss nicht verlieren will, muss mehr investieren, schneller reagieren und international vernetzter denken. Denn während in China die Krise bereits für einen Neuanfang genutzt wird, steht Europa erst am Anfang eines geopolitisch-technologischen Kraftakts.
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